Das Ullrich-Turner-Syndrom

Was ist eigentlich dieses Turner-Syndrom?

Das Turner-Syndrom oder Ullrich-Turner-Syndrom ist ein Chromosomenfehler.

Um ganz am Anfang anzufangen: Chromosomen bestehen aus DNA, vereinfacht gesagt aus den Genen oder Erbanlagen eines Menschen, und sie befinden sich in jeder einzelnen Körperzelle im Zellkern. In den Chromosomen ist also unser genetischer Code gespeichert, im Prinzip alle Informationen über unseren Körper.

Grundsätzlich hat jeder Mensch in jeder Zelle 46 Chromosomen. Immer zwei davon sind sich sehr ähnlich und tragen Informationen zu denselben Dingen, deshalb kann man sie gut in 23 Paare ordnen. Das liegt daran, dass wir bei der Befruchtung immer eines dieser "paarigen" oder "homologen" Chromosomen von der Mutter und eines vom Vater mitbekommen, also eines stammt aus der Eizelle und eines aus der Spermienzelle. Eine äußerst praktische Einrichtung, denn so können zum Beispiel Schäden an einem Chromosom durch das jeweils andere ausgeglichen werden.

Außerdem muss man noch wissen, dass das 23. Chromosomenpaar sich bei Männern und Frauen unterscheidet. Bei Frauen ist dieses Paar XX und bei Männern XY.

Beim Turner-Syndrom ist das anders, hier liegen nur 45 Chromosomen insgesamt vor, da vom 23. Chromosomenpaar das zweite Chromosom fehlt. Der Chromosomensatz ist also 45X0, man sagt auch Monosomie X.

 

Das ist die Grundform des Turner-Syndroms, es gibt aber noch viele andere Formen. Zum Beispiel kann nur ein Teil des zweiten X-Chromosoms fehlen (Isochromosom oder Deletion), oder es fehlt nicht in jeder Zelle des Körpers (das heißt dann Mosaik).

 

Die Betroffenen sind Frauen. Tatsächlich war die Tatsache, dass der Chromosomensatz 45 X0 weiblich ist, für die Biologen der Beweis, dass das Y-Chromosom die Entwicklung zum Mann auslöst.

 

Manchmal können jedoch bei Mosaikformen auch Zellen mit Y-Chromosom vorhanden sein, das ist dann das atypische Turner-Syndrom und die Betroffenen können dann in ganz seltenen Fällen sogar Männer sein.

Welche Symptome bringt das Ullrich-Turner-Syndrom mit sich?

Zu den Symptomen kann man ganze Forschungsarbeiten schreiben. Es wird logischerweise auch einige Blogartikel dazu geben. Hier also nur ein kurzer Überblick. Wichtig zu wissen ist vor allen Dingen, dass die Symptome bei jeder Turner-Frau anders ausgeprägt sind! Keine Turner-Frau hat alle Symptome. Manchen von uns merkt man das Syndrom sogar fast gar nicht an und es wird nicht selten auch erst im Jugend- oder Erwachsenenalter festgestellt. Hier meine Liste von Besonderheiten, die auftreten können:

 

1. Kleinwuchs und Körperbau

 

Das wohl bekannteste und auffälligste Symptom des Ullrich-Turner-Syndroms ist der Kleinwuchs. Ohne Behandlung werden Turner-Frauen meist nur zwischen 1,40 und 1,45 m groß. Mit Wachstumshormontherapie sind es dann bis zu 15 cm mehr. Auch stimmen die Proportionen bei uns nicht ganz, der Kopf ist immer etwas zu groß im Vergleich zum übrigen Körper und die Beine relativ kurz und klein. Dafür ist unser Oberkörper meist recht kräftig mit einer breiten Brust und breiten Schultern.

 

2. Das Flügelfell, Kopf und Gesicht

 

Das Flügelfell ist eine Hautfalte an beiden Seiten des Halses, die bei Turner-Syndrom recht häufig auftritt. Es geht oft einher mit einem sehr tiefen Haaransatz. Der Hals wirkt dadurch breiter und gedrungen.

Zum allgemeinen Turner-Habitus im Gesicht gehört dann noch, dass die Augen etwas hängend sein können (Dackelaugen) und der Unterkiefer etwas verkleinert und zurückgesetzt ist, der Gaumen kann dafür sehr hoch ausgeprägt sein (gotischer Gaumen) und die Ohrmuscheln leicht deformiert. Was die Ohren angeht entsteht aber vor allem das Problem, dass die Ohrtrompete, also die Verbindung zwischen Nase und Ohren, oft nicht richtig liegt und dadurch schnell verstopft, was uns Mittelohrentzündungen und leider manchmal Schwerhörigkeit beschert.

 

Jetzt aber bitte nicht denken, dass wir alle aussehen wie Aliens! Die Symptome sind bei jeder von uns unterschiedlich ausgeprägt, und den meisten wird man es wohl nicht auf den ersten Blick ansehen.

 

3. Unfruchtbarkeit

 

Neben dem Kleinwuchs ist Unfruchtbarkeit wohl das am häufigsten vorkommende Symptom des Turner-Syndroms.

Grundsätzlich sind alle weiblichen Geschlechtsorgane vorhanden. Das Problem ist nur, dass die Eierstöcke bereits in einer sehr frühen Entwicklungsphase in Bindegewebe umgewandelt werden, das heißt sie enthalten keine Eizellen mehr und produzieren auch keine Hormone.

Um die Pubertät auszulösen werden daher Östrogene gegeben, die Turner-Frauen normalerweise ähnlich einnehmen wie gesunde Frauen die Pille.

Da also keine Eizellen vorhanden sind, können Turner-Frauen auch keine eigenen Kinder auf natürlichem Wege bekommen. Mit einer Eizellspende funktioniert es aber dank der modernen Fortpflanzungsmedizin, denn alles außer der Eizellreifung funktioniert bei uns wie bei normalen Frauen auch und viele von uns sind bereits dank Eizellspende glückliche Mütter geworden. Nur leider muss man dafür ins Ausland gehen, da es in Deutschland verboten ist.

Hier gibt es übrigens keine Garantien! Manchmal passiert es, vor allen Dingen bei Frauen mit Mosaikformen, dass man trotz Turner-Syndrom plötzlich schwanger ist!

 

4. Immunsystem und Stoffwechsel

 

Ab und zu passiert es uns, dass unser Immunsystem sich gegen unseren eigenen Körper wendet. Zum Beispiel kann es die Schilddrüse angreifen, was dann zur Hashimoto-Thyreoiditis führt, oder auch die eigene Bauchspeicheldrüse, was zu Diabetes Typ 1 führt. Zum Glück kann man beides heutzutage mit Schilddrüsenhormonen bzw. Insulin ganz gut in den Griff kriegen.

 

5. Herzfehler

 

Herzfehler, meist eine Verengung der Aorta, kommen bei uns ziemlich häufig vor und müssen normalerweise operiert werden. Wenn die Schäden nicht allzu schlimm sind ist nach den Operationen aber ein normales Leben und eine normale Teilnahme am Sportunterricht damit möglich.

 

6. Kognitive Ausfälle???

 

Nein. Kognitive Ausfälle in dem Sinne, dass wir weniger intelligent wären als andere Menschen, gibt es nicht. Der IQ von Turner-Frauen entspricht absolut dem Durchschnitt.

 

Allenfalls werden Betroffene nicht selten berichten, dass sie ein schlechtes Gedächtnis und leichte Lernschwierigkeiten haben, sie sich oft auch schwerfälliger und langsamer fühlen als Andere, sich schlecht konzentrieren können. Oft kann man auch lesen, dass das räumliche Vorstellungsvermögen und die soziale Kompetenz bei uns wohl etwas unter dem Durchschnitt liegen. Wirklich untersucht wurde das allerdings kaum.

 

 

Damit ist die Liste noch längst nicht zuende! Bitte nicht vergessen: Jede Turner-Frau ist anders. Manche haben fast gar keine Einschränkungen, manche haben schon mehr Schwierigkeiten durch das Syndrom. Längst nicht jede hat einen Herzfehler oder ein Flügelfell. Wir sind so individuell wie Frauen ohne Turner-Syndrom auch!

2%

2%? Was soll das bedeuten???

 

So ein bisschen ist es unsere magische Zahl.

Ja, auch wenn man es vielen von uns nicht ansieht und auch wenn wir in der Regel ein normales Leben führen, das Turner-Syndrom ist ein Chromosomenfehler. Mit allen Folgen, die Chromosomenfehler eben haben. Dank der modernen pränatalen Testmethoden kann man es ja auch bereits im Mutterleib diagnostizieren.

 

Was Schwangerschaften angeht hat die Natur eine Menge Einrichtungen eingeführt, die die Mutter (beziehungsweise potenzielle Mutter) schützen sollen. Hat sie zum Beispiel zu viel Stress, ist krank oder unterernährt werden sich befruchtete Eizellen mit sehr viel geringerer Wahrscheinlichkeit einnisten, als wenn es ihr gut geht. Ziemlich häufig wird bei einer beginnenden Schwangerschaft der Embryo sogar wieder abgestoßen, noch bevor die Frau überhaupt bemerkt, dass sie schwanger ist.

 

Diese Mechanismen greifen auch, wenn die befruchtete Eizelle einen Gendefekt oder Chromosomenfehler hat. Noch dazu kommt es vor, dass durchaus viele Föten mit Turner-Syndrom oder anderen Chromosomenfehlern so viele Schäden davontragen, dass sie nicht lebensfähig sind. Überhaupt ist das Turner-Syndrom der einzige Chromosomenfehler, bei dem ein vollständiges Chromosom fehlt und dennoch ein lebensfähiger Mensch entsteht.

 

Und hier kommt unsere magische Zahl ins Spiel: Man sagt dass nur 2% aller befruchteten Eizellen mit Turner-Syndrom überleben und zu Kindern und erwachsenen Frauen heranwachsen. Zugegeben, es ist etwas undurchsichtig, auf welcher Grundlage genau diese Zahl ermittelt wurde und es kann nicht mehr als ein grober Richtwert sein. Trotzdem ist es unsere magische Zahl. Gerade deswegen sind Turner-Frauen etwas ganz besonderes!

Viel Spaß beim Lesen des Blogs!