Ja, es hat nun funktioniert. Nach dem dritten Versuch unserer Eizellspende bin ich tasächlich schwanger und meine Frauenärztin drückte mir unter anderem diese Broschüre in die Hand.
Schwangerschaften, vor allem Frühschwangerschaften, sind wirklich richtig aufregend. Man weiß noch gar nicht, was mit dem Kind auf einen zukommen wird, ob es überhaupt überleben wird und wer das da überhaupt ist oder mal sein wird, der da im Bauch heranwächst. Und so ging es auch mir in den ersten "kritischen" Wochen: Wird es überleben oder ist schon morgen alles wieder vorbei? Das war die bestimmende Frage, wenn auch immer gepaart mit der Freude auf das Kind und dem Gefühl, dem Schicksal der Unfruchtbarkeit ein Schnippchen geschlagen zu haben.
Kurz gesagt: So früh in der Schwangerschaft ist man dankbar für jede Information. Jedes Herztönchen im Ultraschall. Und natürlich hat man Angst. Man hat ja so viel über Fehlgeburten gehört und gelesen, vielleicht sogar schon selbst eine erlebt. Oder man hat Angst, dass das Kind krank oder behindert sein könnte.
Und nun muss ich auch überlegen, ob ich einen solchen Test in Anspruch nehmen möchte.
Zuerst einmal ein paar Fakten zu den Tests:
Konkret erfährt man bei einem Panorama - Praena- oder Harmonytest ob eine der häufigsten Chromosomenanomalien vorliegt, also Trisomie 13,18 oder 21, Anomalien der Geschlechtschromosomen (Turner-Syndrom!) und einige punktuelle Veränderungen am Genom. Was genau ermittelt werden kann hängt meist von dem gewählten Paket beziehungsweise der gewählten Preisklasse ab.
Alle Anbieter geben eine sehr hohe Genauigkeit um die 99% an, die Tests sind ab der 10. Schwangerschaftswoche durchführbar.
Um diese Chromosomenanomalien festzustellen hat man vor der Entwicklung dieser Tests eine Fruchtwasseruntersuchung benötigt, die jedoch das Risiko einer Fehlgeburt birgt. Auch deshalb ist die minimal-invasive Methode des Bluttests ein Vorteil.
Nun gut, zusätzliche Informationen sind immer ein Vorteil. Man hat mehr Zeit und Möglichkeiten, sich auf die Situation nach der Geburt einzustellen. Man hat letztendlich die Wahlfreiheit: Will ich dieses Kind zur Welt bringen oder nicht. Möchte ich ein Leben mit einem behinderten Kind, das möglicherweise ohnehin kurz nach der Geburt stirbt, oder möchte ich das nicht bzw. traue ich mir das nicht zu. Und wenn der Test keine Diagnose ergibt, was sehr wahrscheinlich der Fall sein wird, kann man eine entspannte Schwangerschaft erleben.
Ganz so einfach ist es aber dann doch nicht. Schließlich kann man alle vorgeburtlichen Untersuchungen machen lassen und entspannt, weil sie alle ohne Diagnose waren, ein gesundes Kind zur Welt bringen. Und dann? Hat das Kind einen Unfall oder bekommt eine Infektion oder Krebs... Auch Autismus, geistige Behinderungen oder bestimmte Stoffwechselerkrankungen wird man vor der Geburt nicht feststellen können. Und so kann es allen guten Testergebnissen zum Trotz passieren, dass das Kind zu einem Pflegefall wird oder sein Leben leider ein frühes Ende nimmt. Die besten Voraussetzungen für sein Kind zu wollen, ist natürlich aller Ehren wert. Aber die schützen es und seine Eltern nicht zuverlässig vor Leid und finanziellen Sorgen.
Und überhaupt stellt man sich die Frage: Wie geht man mit einer Diagnose um, wenn man sie erhalten hat? Viele werdende Eltern haben so gut wie keinen Kontakt zu Familien mit behinderten Kindern oder Betroffenen der Syndrome, die mit vorgeburtlichen Bluttests diagnostiziert werden können. Sicherlich kann man sich unter dem Down-Syndrom etwas vorstellen, da es sehr bekannt ist. Aber Trisomie 18??? Turner-Syndrom??? Verständlicherweise gibt es wenige junge Elternpaare, die von diesen Diagnosen jemals etwas gehört haben, und wenn, dann nur am Rande. Wie also sollen sie fundiert sie Situation ihres Kindes einschätzen? Sicherlich ist hier der Arzt gefragt, der aufklären und Wege aufzeigen soll (damit meine ich auch: es den Eltern ermöglichen, selbst zu entscheiden ob sie mit einem behinderten Kind leben möchten und erste Schritte aufzeigen, wie dieses Leben aussehen kann, oder eben das Kind nicht zu bekommen). Ein guter Arzt tut das auch verantwortungsbewusst. Dennoch hört man leider oft von Negativbeispielen, die sehr schnell ausschließlich eine Abtreibung empfehlen und selbst nicht genau genug informiert sind.
Werdende Eltern, die sich ohnehin schon in einer extrem aufregenden Zeit befinden, können überfordert von dem Testergebnis sein. Und sich dann eben eher für eine Abtreibung entscheiden, als wenn sie den Bluttest nicht gemacht hätten.
Was man natürlich auch bedenken muss ist, dass bei einigen der Chromosomenanomalien oder Mutationen, die in den Tests festgestellt werden, die Lebenserwartung des Kindes sehr eingeschränkt sein kann und es möglicherweise trotz allem guten Willen schon die Geburt nicht erlebt. Dies ist aber noch längst nicht immer der Fall, da die Symptome extrem unterschiedlich ausgeprägt sein können. Von daher sagen die Tests über die Zukunft mit dem Kind nicht so viel aus, wie man sich vielleicht wünscht. Das gepaart mit der Tatsache, dass Chromosomenanomalien sehr selten vorkommen, lässt es fraglich erscheinen, ob diese Tests überhaupt einen Vorteil bringen, wenn am Embryo bzw. Fötus keinerlei Auffälligkeiten im Ultraschall zu sehen sind. Wenn wirklich eine schwere Chromosomenstörung vorliegt, fallen mit Sicherheit im Ultraschall ohnehin zumindest Besonderheiten am Kind auf, die eine weitere Diagnostik erfordern, um herauszufinden was genau mit dem Ungeborenen ist.
Meiner Meinung nach ist es gerade bei so emotional besetzten und in bestimmten Lebenssituationen entscheidenden Themen wichtig, die goldene Mitte zu finden. Ich fände es zumindest zweifelhaft, wenn diese Tests quasi jeder Schwangeren als Kassenleistung offenstehen würden, egal ob nun eine Auffälligkeit oder Risikofaktoren vorliegen oder nicht. Aus meiner Sicht grenzt das zu sehr an eine gewollte, frühe Auslese der Embryonen und es verunsichert Schwangere noch mehr, als es diese in der Frühschwangerschaft ohnehin schon sind. Man sollte die Tests daher nur einsetzen, wenn wirklich Risiken oder Auffälligkeiten vorliegen, ansonsten können sie sehr viel Stress verursachen - und sind außerdem eine Investition von zweifelhaftem Nutzen.
Tja, und was heißt das Ganze nun für mich, die ich ja nun selbst einen Chromosomenfehler habe, der auch bei mir mit diesen Tests bereits in der zehnten Schwangerschaftswoche hätte diagnostiziert werden können? Beim Ersttrimesterscreening, das ich vor allem in Anspruch genommen habe, weil ich es bis zum nächsten regulären Ultraschalltermin vor Aufregung kaum ausgehalten hätte und ich wirklich große Angst vor einer Fehlgeburt hatte, sagte die Ärztin zum Einstieg vor der Untersuchung nur: "Dass man mit dem Turner-Syndrom gut leben kann, wissen Sie ja." Auffälligkeiten oder ein besonders erhöhtes Risiko für Trisomien hat sich gottseidank auch nicht ergeben, wenn die Ärztin auch trotzdem den Panoramatest empfohlen hat. Aber eben weil es keine Auffälligkeiten gab, habe ich mich dagegen entschieden.
Ob meine Eltern sich gegen mich entschieden hätten, hätte es diese Tests damals schon gegeben, weiß ich nicht. Sie haben von meiner Diagnose erst erfahren, als ich sieben Jahre alt war und standen nie vor einer solchen Entscheidung. Und vielleicht war das auch für alle Beteiligten besser so. Für mich gilt ohnehin: Ich bin selbst mit einem Chromosomenfehler zur Welt gekommen. Zwar weiß ich, dass längst nicht alle Kinder mit Chromsomenfehler es bis zur Geburt schaffen und es den wenigsten von ihnen so gut geht wie mir. Aber wenn mir die Wahl gelassen wurde, ob ich zur Welt kommen möchte oder nicht, warum sollte ich diese Wahl dann einem Kind verwehren, das in meinem Bauch heranwächst? Ich war ja auch ein "Überraschungspaket", und für meine Familie war das gut so. Wieso sollte mein Kind dann nicht auch ein Überraschungspaket sein?